Von Anfang an war die 1955 gegründete documenta mehr als eine Ausstellung: als künstlerisch-intellektuelles Zeichen eines demokratisch-pluralistischen Neuanfangs stand sie für einen klaren Bruch mit dem Nationalsozialismus. Ästhetisch wie politisch wurde sie als Gegenentwurf und Rehabilitierung der von den Nazis sogenannten „Entarteten Kunst“ rezipiert – mitunter gar als Akt der Wiedergutmachung. Die Forschungsgruppe dis_continuities unterzieht den Gründungsmythos der documenta, der nicht erst durch die Entdeckung der NSDAP- und SA-Mitgliedschaft von Werner Haftmann und weiteren Gründungsfiguren der documenta eklatante Risse bekommen hat, einer umfassenden kritischen Revision.
Inwiefern prägten völkisch-nationalistische Narrative, Netzwerke und Strukturen aus der Zeit vor 1945 bzw. vor 1933 die Ausstellungsreihe? Welche personellen, politischen, ökonomischen, diskursiven und ästhetischen Kontinuitäten gibt es? Wer (oder was) wurde bei den ersten Ausgaben der documenta nicht ausgestellt? Was für eine Rolle spielt das Narrativ der Diskontinuität der documenta zum Nationalsozialismus – nicht bloß für den Mythos documenta, sondern auch für das post-nationalsozialistische Selbstverständnis der BRD und des wiedervereinigten Deutschlands?
Mit Mitteln der wissenschaftlichen, künstlerischen und kuratorischen Forschung widmet sich dis_continuities der kritischen Auseinandersetzung mit dem politisch ambivalenten im/materiellen Erbe der Moderne, das die documenta aufgrund ihrer spezifischen geopolitischen Position im Kalten Krieg in besonderem Maße prägte, und untersuchen das un/heimliche Fortwirken von völkischen, antisemitischen, rassistischen und patriarchalen Mustern in Kunst und Kultur bis heute.
Dabei ist es ein zentrales Anliegen auch die Situierung der unterschiedlichen Forschungsansätze selbst in vergangene und gegenwärtige Machtverhältnisse und epistemologische Regime zu berücksichtigen. In kritischer Auseinandersetzung mit Formen der Adressierung und Vermittlung der „Erbschaft dieser Zeit“ entwickelt die Gruppe verschiedene künstlerische, wissenschaftliche und kuratorische Formate, die sich beispielsweise in Ausstellungen, Publikationen oder Interventionen in den öffentlichen Raum manifestieren werden.